Es gibt Momente, in denen wir völlig überzeugt sind, uns an etwas richtig zu erinnern. An ein Gespräch, ein Detail, ein Blick, eine Entscheidung. Und doch: Es stimmt nicht. Es hat so nie stattgefunden. Und das Erstaunlichste daran? Unser Gehirn weiss das nicht. Es macht einfach weiter. Erzählt uns Geschichten, füllt Lücken, webt Erklärungen – und wir glauben sie.
Dieses Phänomen nennt sich Konfabulation. Ursprünglich bekannt aus der neurologischen Forschung, insbesondere bei Menschen mit Gedächtnisstörungen, zeigt sich immer klarer: Auch gesunde, alltägliche Gehirne greifen ständig auf diese kreative Erzählkunst zurück. Nicht aus Bosheit oder Schwäche – sondern aus einem tiefen Bedürfnis nach Sinn, Zusammenhang und Identität.
Unser Gedächtnis funktioniert eben nicht wie eine Festplatte oder eine Kamera. Es ist kein exaktes Archiv. Es ist ein dynamisches, emotional gefärbtes System, das Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft in ein stimmiges Ganzes verwandeln will. Wahrheit ist dabei ein dehnbares Konzept. Entscheidend ist: Die Geschichte muss passen. Zu unserem Selbstbild, zu unseren Erfahrungen, zu unserem Weltverständnis.
Was bedeutet das im Alltag?
Es bedeutet, dass wir uns selbst und anderen gegenüber öfter irren, als wir denken. Dass Streitigkeiten oft nicht aus Bosheit entstehen, sondern aus unterschiedlichen „Versionen“ desselben Erlebnisses. Dass wir uns manchmal selbst belügen – aber nicht aus Kalkül, sondern weil unser Gehirn aufräumt, neu sortiert, ergänzt. Weil es nicht erträgt, eine Lücke offen zu lassen.
Es bedeutet auch, dass unsere Vergangenheit wandelbar ist. Nicht objektiv, aber subjektiv. Wir erinnern uns an unsere Kindheit anders, je nachdem, wie wir heute leben. Wir sehen Entscheidungen in einem anderen Licht, wenn sie sich als gut oder schlecht herausgestellt haben. Wir erzählen uns die Geschichte unseres Lebens rückblickend so, dass sie für uns heute Sinn ergibt.
Konfabulation als Chance
Wenn unsere innere Realität ohnehin schon aus Geschichten besteht – warum nicht bewusst neue erzählen? Warum nicht gezielt Einfluss nehmen auf diese Erzählungen, um Heilung, Wachstum oder Veränderung zu ermöglichen?
Im Mental Coaching begegne ich oft Menschen, die in alten Geschichten feststecken:
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„Ich war schon immer so.“
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„Ich kann einfach das nicht.“
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„Das liegt halt in meiner Natur.“
Solche Sätze wirken wie Fakten – sind aber oft nichts anderes als tief verankerte Narrative, die irgendwann einmal entstanden sind und sich durch Wiederholung gefestigt haben.
In der Hypnose erleben wir, wie das Gehirn in Trance besonders empfänglich wird für neue Geschichten. Für korrigierte Bilder, veränderte Perspektiven, heilsame Alternativen. Wir überschreiben nicht die Vergangenheit – aber wir ermöglichen eine neue Interpretation. Wir helfen dem Gehirn, neue Verknüpfungen zu schaffen.
Denn: Das Gehirn unterscheidet nicht so streng zwischen „erlebt“ und „vorgestellt“. Emotional stark aufgeladene innere Bilder – ob aus Erinnerung oder Imagination – wirken gleich. Was zählt, ist die Erfahrung, nicht die Quelle.
Was heisst das für dich?
Wenn du dich also das nächste Mal auf eine Erinnerung verlässt – sei es im Streit, im Selbstgespräch oder im inneren Urteil über dich selbst – frag dich:
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Könnte es sein, dass ich nur eine Version der Geschichte erzähle?
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Was wäre, wenn mein Gehirn gerade nur versucht, Lücken zu füllen?
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Gibt es eine andere Perspektive, die genauso stimmig – oder sogar hilfreicher – wäre?
Und noch wichtiger: Wenn du das Gefühl hast, in einem alten, starren Narrativ gefangen zu sein – etwa in Bezug auf deine Vergangenheit, deine Fähigkeiten oder deinen Selbstwert – dann darfst du dir erlauben, daran zu rütteln. Vielleicht ist nicht alles so, wie es scheint. Vielleicht hast du die Möglichkeit, deine Geschichte neu zu schreiben.
Nicht, um etwas zu verdrängen oder zu verleugnen. Sondern um Platz zu schaffen für Entwicklung. Für neue Wege. Für ein Selbstbild, das nicht auf alten Fehlern basiert, sondern auf dem, was heute möglich ist.
Fazit
Wir alle sind Geschichtenerzähler – manchmal ohne es zu wissen. Unsere Erinnerungen sind formbar. Und genau darin liegt das Potenzial für Veränderung.
Mental Coaching und Hypnose helfen dabei, das innere Drehbuch neu zu schreiben – sanft, respektvoll und auf Augenhöhe mit dem, was unser Gehirn ohnehin schon tut: Sinn stiften.
Wenn du das Gefühl hast, in deiner Geschichte festzustecken – ich begleite dich gern dabei, sie neu zu schreiben.
Warum mich das Thema fasziniert – und warum es auch für dich spannend sein könnte
Als Mental Coach und Trainer für Hypnosecoaches beschäftige ich mich fast täglich mit der Frage, wie unser Gehirn funktioniert – und warum wir manchmal so ticken, wie wir ticken.
Solche Themen begegnen mir nicht nur in Coachings, sondern auch in der Ausbildung, im Unterricht, in Gesprächen. Darum halte ich mich fachlich immer auf dem neuesten Stand und lasse mich gerne von aktuellen Erkenntnissen inspirieren.
Besonders spannend finde ich die Arbeit von David Eagleman, einem führenden Neurowissenschaftler, der es versteht, komplexe Hirnforschung verständlich und alltagsnah zu vermitteln.
Dieser Beitrag ist inspiriert von einer seiner Podcast-Folgen – und zeigt, wie unser Gehirn Lücken in der Erinnerung kreativ füllt.
»Why do brains sometimes make things up?« – eine Episode seines Podcasts Inner Cosmos.
Hier geht’s zur vollständigen Folge (auf Englisch)
Viel Spass dabei – falls du Lust hast, noch ein bisschen tiefer in die neurowissenschaftlichen Hintergründe einzutauchen. Es lohnt sich.